Eine uneindeutige Grenzlinie zwischen „Cops & Robbers“ --- Chris Abani gibt Lagos Noir heraus
Parwana
07.05.2020

Der Sammelband Lagos Noir von 2018 gehört zur Krimi-Serie „Noir“ des New Yorker Akashik Verlags, die düstere Geschichten aus den globalen Megastädten in verschiedenen Ländern vorstellt. Die „Noir“ Serie startete erst mit dem New York basierten Band  Brooklyn Noir 2004, und erfreut sich weltweit steigender Bekanntheit und eines ausgezeichneten Erfolgs. Als Herausgeber von Lagos Noir, konnte der bekannte nigerianisch-stämmige Romanautor und Dichter Chris Abani gewonnen werden. Er stellt mit zwölf bereits renommierten Autorinnen und Autoren sowie vielversprechenden neuen Talenten eine Sammlung von Kurzgeschichten in der nigerianischen Metropole Lagos vor. Sie erzählen zusammen vom unheilvollen Fatalismus aus Repression und Betrug, der sich in den Jahren nach der Unabhängigkeit über die urbanen Zentren Nigerias legt.


Die Geschichten in der Sammlung situieren sich in unterschiedlichen Stadtteilen in Lagos, auf die sich vielfältige Einwohner*innen und ihre unterschiedliche Lebensverhältnisse verteilen. Die Geschichten gehen über die Fessel der kolonialen Vergangenheit hinaus, und besinnen sich auf persönliche Bestrebungen, Frustrationen, und insbesondere die Kluft zwischen Arm und Reich, die mit der korrupten staatlichen Verwaltung und dem dunklen kriminellen Bereich verbunden sind.

Die Realität der korrupten Polizei wird im ersten Teil „Cops & Robbers“ als einer der prägendsten Konlifkte Lagoser Gesellschaft vorgeführt. In Jude Dibias Beitrag What they did that night scheitert GABRIEL, ein aufrichtiger Polizist daran, einen Mord sachlich zu untersuchen, und er findet unterdessen heraus, dass er der Einzige unter den Polizisten ist, der Wert auf Gerechtigkeit legt. Gabriels Geschichte dient als eine Vignette, um den gesellschaftlichen Hintergrund Lagoses zu schildern, und spricht eindeutig dafür, dass das Krimigenre mithin die beste Linse sein kann, die Wirrungen und Irrungen in Lagos zu beobachten.

Darüberhinaus fällt der Kontrast zwischen den prekären Lebensbedingungen und dem Streben der jüngeren Generation nach Aufstieg im Teil „Cops& Robbers“ ins Auge. In den beiden der Geschichten:  ,,Heaven’s Gate'' von Chika Unigwe und ,,Just ignore and try to endure'' von A. Igoni Barret durchleuchten die Autor*innen den Kampf des Widerstandes von jungen Nigerianer*innen gegen das System. Einer ist ein beharrlicher Motorradfahrer, EMEKA, der trotz der Schwierigkeiten und Unterdrückung Geld und das flüchtige Glück im Austausch mit Blut und Tränen jagt; der andere ist ein Wohnungssuchender, der sich bemüht, einen Ratten-freien Wohnort zu finden, aber sich  bei ehrlicher Arbeit nur eine Behausung im dreckigen Elendsviertels Egbeda leisten kann. Insbesondere Bareet zeigt  ein anschauliches und beunruhigendes urbanes Bild. Die Figuren im ersten Teil der Sammlung teilen einige Gemeinsamkeiten -- allen voran den Fatalismus gegenüber dem System der Korruption und sie verwickeln sich nach und nach selbst in das korrupte soziale System. Nur eine der Figuren, SHOWLOGO, der Protagonist aus Nnedi Okorafors spannender gleichnamiger Kurzgeschichte, bahnt sich seinen Weg nach draußen, er schmuggelt sich auf einem Flugzeugträger in die USA. Am Ende der Geschichte fasst die Autorin das unruhige Leben von Showlogo in poetischer Manier zusammen: ,,He’d lived his life this way, understanding, reacting to and riding the powerful and weak waves of the universe’s ocean.‘‘

Der Alltag in Lagos wird von Leid, Gefahr und Frustration durchdrungen, all dies wird auf die koloniale Geschichte Nigerias zurückbezogen. Die Desillusionierung der Post-Unabhängigkeit nach den zwei Kriegen im 20. Jahrhundert lähmt die Gesellschaft und ihre Entwicklung. Sowohl die ,,Guten‘‘(die Polizei) als auch die ,,Bösen‘‘(der Räuber) ringen miteinander, um zu überleben. Durch die Charaktere der Kurzgeschichten und ihre Lebenswelten können die Leser selbst die Noir-Atmosphäre wahrnehmen, die in Lagos steckt.

Der Krimi als eine beliebte Form der Literatur hat seit Anfang des 21. Jahrhunderts in Afrika auffallend an Popularität gewonnen. In der urbanen Literatur wie Lagos Noir spielt das Setting der Stadt eine zentrale Rolle; der geographische Raum, die Landschaft, die Architektur und Infrastruktur spiegeln die Lebensrealität von Menschen und die Dynamik der Stadt wider. Im Sinne einer Reflexion über das post-unabhängige industrialisierte Nigeria ist der Sammelband Lagos Noir ein besonders lesenswertes Buch. Über die spannenden kriminellen Handlungen hinaus lösen die teils quälenden Geschichten lang nachwirkende vielschichtige Gefühle beim Leser aus.

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